Wien – jahrhundertelang als Stadt der Klassik, der Kaffeehäuser und des Kaiserflairs bekannt – hat in den letzten Jahrzehnten eine tiefgreifende kulturelle Wandlung durchlebt. Neben den Prachtbauten der Habsburger, dem weltberühmten Opernhaus und den imperialen Museen schlägt heute ein ganz anderer Puls: jung, kreativ, rebellisch. Besonders im November, wenn der Touristenstrom langsam abflaut und das urbane Leben in seine authentische Form zurückfindet, zeigt sich Wiens subkulturelle Seite in voller Stärke. Wer Streetart, alternative Mode, kreative Kollektive und urbane Subkultur liebt, sollte die klassischen Pfade verlassen – und das echte, junge Wien entdecken.
1. Wien zwischen Klassik und Gegenwart
Wien ist nicht nur Beethoven, Sisi und Kaffee mit Schlagobers. Die Stadt hat sich in den letzten Jahrzehnten zu einer kulturellen Drehscheibe Mitteleuropas entwickelt – und das weit über ihre klassische Vergangenheit hinaus. Heute begegnen sich hier die Einflüsse aus Berlin, Prag, Budapest und dem Balkan, sie vermischen sich mit österreichischer Tradition und erschaffen einen kreativen Schmelztiegel, der seinesgleichen sucht. Diese Entwicklung ist nicht das Ergebnis großer urbaner Masterpläne, sondern eines lebendigen, organisch gewachsenen Szenengefüges.
Besonders junge Menschen, Studierende, Kunstschaffende, Musikerinnen, Aktivistinnen und sogenannte Digital Nomads fühlen sich von Wiens einzigartiger Mischung aus hoher Lebensqualität, bezahlbarem Wohnraum (zumindest im Vergleich zu vielen anderen europäischen Metropolen) und einer ausgeprägten kreativen Szene angezogen. Die Stadt bietet ihnen nicht nur Raum für künstlerischen Ausdruck, sondern auch eine Bühne für alternative Lebensentwürfe und neue Gesellschaftsmodelle.
Subkultur ist in Wien nicht bloß ein Schlagwort oder ein Feigenblatt – sie wird in vielen Bezirken ganz selbstverständlich gelebt. Ob in leerstehenden Fabrikhallen, umfunktionierten Bahnbögen oder ehemaligen Gemeindebauten: Überall entstehen Orte der Begegnung, der Diskussion, des Ausdrucks und des Experiments. Von selbstverwalteten Kulturhäusern wie dem WUK über Off-Spaces in Margareten oder Rudolfsheim-Fünfhaus bis hin zu queeren Events in alternativen Clubs – die Stadt bietet eine Vielfalt an Ausdrucksmöglichkeiten und Nischen, in denen sich kreative Energien entfalten können.
Besonders faszinierend ist dabei, wie sich in Wien Tradition und Avantgarde die Hand reichen. Zwischen Barockfassaden und Gründerzeitbauten tauchen plötzlich bunte Murals, temporäre Installationen oder improvisierte Musikperformances auf – oft mitten im Alltag, fast beiläufig. Das sorgt für Reibung, aber auch für Inspiration. Die Wiener Subkultur ist nicht laut oder schrill, sondern oft subtil, ironisch und durchdacht. Sie ist kritisch, politisch und dabei zugleich tief im Alltag verwurzelt.
Wer Wien heute erleben will, muss also hinter die imperiale Kulisse blicken – und wird dort eine junge, offene, weltoffene Stadt entdecken, die mit jeder Ecke neue Geschichten erzählt.
2. Streetart in Wien: Von Gürteltunneln bis Donaukanal
Wer mit offenen Augen durch Wien geht, wird überrascht sein, wie präsent Streetart im Stadtbild ist. Graffiti, Paste-Ups, Murals und urbane Installationen zieren zahlreiche Wände – nicht illegal, sondern oft bewusst gefördert. Ende November, wenn die Bäume kahl und die Farben der Natur zurückhaltend sind, leuchtet die Kunst an den Wänden umso mehr.
Hotspots für Streetart:
- Donaukanal
Entlang des Donaukanals, insbesondere zwischen Schwedenplatz und Spittelau, erstreckt sich eine der größten legalen Streetart-Galerien Europas. Internationale Größen wie Nychos, ROA oder Shepard Fairey haben hier ihre Spuren hinterlassen. Tipp: Wärm dich mit einem Coffee-to-go aus einem der nahegelegenen Cafés auf und schlendere entlang der Wasserlinie – perfekt auch für Fotograf*innen. - Gürteltunnel & U6-Strecke
Die dunklen Unterführungen und Betonwände rund um den Gürtel bieten eine ganz andere Atmosphäre. Der Kontrast zwischen dem Verkehrslärm und den bunten, oft sozialkritischen Werken schafft ein urbanes Spannungsfeld. - 15. Bezirk (Rudolfsheim-Fünfhaus)
Hier wird immer mehr Fläche für freie Kunst geschaffen. Besonders rund um die Reindorfgasse und Märzstraße findet man kleine Galerien, alternative Läden und überraschende Kunstwerke an Häuserwänden.

3. Szeneviertel: Wo das junge Wien lebt
Wer das alternative Leben Wiens wirklich kennenlernen will, muss die Bezirksgrenzen klassischer Sightseeing-Touren überschreiten. Besonders drei Stadtteile sind im Spätherbst spannend – wenn die Besucherzahlen sinken und die kreative Szene sich wieder unter sich entfaltet.
✦ Neubau (7. Bezirk)
Neubau ist das Herzstück der alternativen und künstlerischen Szene Wiens. Hier reihen sich Secondhand-Läden, Concept Stores, vegane Bistros und Bars mit Wohnzimmeratmosphäre aneinander.
- Lindengasse & Siebensterngasse: Hotspots für nachhaltige Mode, österreichische Designer*innen und handgemachte Accessoires.
- MuseumsQuartier (MQ): Im November ist es draußen zwar kühl, aber drinnen umso gemütlicher. Im MQ trifft man auf kreative Köpfe, junge Künstler*innen und spannende Ausstellungen – von zeitgenössischer Kunst bis Medienexperimenten.
- Cafés wie „Kaffemik“ oder „Burggasse 24“: Hier entstehen Ideen, Magazine und manchmal auch Start-ups bei einem Filterkaffee.
✦ Leopoldstadt (2. Bezirk)
Einst jüdisches Viertel, dann lange unterschätzt – heute ist die Leopoldstadt hip, international und vielschichtig.
- Karmelitermarkt: Perfekt für ein spätherbstliches Frühstück am Samstagmorgen. Bio, vegan, jüdisch-orientalisch – hier ist für alle Geschmäcker etwas dabei.
- Nordbahnviertel: Ein urbanes Entwicklungsgebiet, wo Streetart, Urban Gardening und Jugendkultur auf Architektur der Zukunft treffen.
✦ Margareten (5. Bezirk)
Weniger touristisch, dafür authentisch und kreativ. In Margareten entstehen gerade viele neue Ateliers, Proberäume und Co-Working-Spaces.
- Schönbrunner Straße & Margaretenplatz: Szene-Bars, lokale Galerien und versteckte Kneipen. Perfekt für den Abend.
- Filmhaus am Spittelberg: Für Independent-Filmfans eine Institution.
4. Subkultur erleben: Musik, Kunst und alternative Orte
Der November ist in Wien kein „toter Monat“ – im Gegenteil. Drinnen blüht das Leben auf. Clubs, kleine Bühnen, Off-Spaces und Kellertheater zeigen jetzt, was Wien wirklich kann.
Musik & Clubkultur
- Grelle Forelle (9. Bezirk): Techno und House auf internationalem Niveau.
- Rhiz: Direkt am Gürtel gelegen, ist das Rhiz ein alternativer Club für elektronische Musik und Experimente.
- Fluc + Fluc Wanne (Praterstern): Zwei Ebenen, zwei Welten – oben Konzertbar, unten elektronischer Keller.
Kunst & DIY-Szene
- WUK (Werkstätten- und Kulturhaus): Ein selbstverwaltetes Kulturzentrum im 9. Bezirk, das im November oft Indoor-Flohmärkte, Ausstellungen, Theaterprojekte und Konzerte bietet.
- Sargfabrik: Ein alternativer Ort für Musik, Diskussionen und Kultur mit besonderem Fokus auf soziale Themen.
Vintage & Upcycling
Gerade junge Wiener*innen sind Pioniere in Sachen Nachhaltigkeit. Vintage ist nicht nur Mode, sondern Haltung. Entsprechend viele coole Läden gibt es:
- Bootik 54, Uppers & Downers (7. Bezirk)
- Polyklamott – Kleidung mit Geschichte und Stil
- Fesch’markt Pop-ups – immer wieder Indoor im November
5. Kulinarische Subkultur: Essen für Entdecker*innen
Wer glaubt, Wien besteht nur aus Schnitzel und Sachertorte, irrt gewaltig. Besonders die junge Gastro-Szene ist ein Schmelztiegel globaler Trends – oft vegetarisch, oft bio, immer kreativ.
Tipps für Foodies:
- „Karma Food“ (vegan/vegetarisch, nachhaltig)
- „Swing Kitchen“ (Vegane Burger in stylischer Atmosphäre)
- „Ulrich“ & „Erich“ (beliebt für Brunch)
- „Ramasuri“ in der Leopoldstadt – Modern, verspielt, saisonal
Im November sind die Cafés oft weniger voll – die perfekte Zeit, um sich mit einem Pumpkin Spice Latte oder einer heißen Zimt-Schokolade aufzuwärmen.

6. Wiener Winterflair trifft urbane Coolness
Ende November beginnt in Wien bereits die Adventszeit – eine ganz besondere Phase im Jahr, in der sich die Stadt langsam in ein funkelndes Lichtermeer verwandelt. Während die Tage kürzer werden und die Temperaturen sinken, entsteht eine warme, fast magische Atmosphäre. Traditionell zieht es Besucher*innen in dieser Zeit zum berühmten Christkindlmarkt vor dem Rathaus, der mit seiner prachtvollen Kulisse, dem riesigen Christbaum und klassischen Leckereien wie Punsch und Lebkuchen lockt. Doch wer das junge, kreative Wien kennenlernen möchte, sollte auch einen Blick auf die alternativen Weihnachtsmärkte werfen, die abseits des Mainstreams stattfinden – urban, nachhaltig und mit einem ganz eigenen Charme.
Der „MQ Wintergarten“ im MuseumsQuartier ist einer dieser Orte. Statt kitschiger Weihnachtsromantik gibt es hier elektronische Musik, DJs, ausgefallene Lichtinstallationen und moderne Pop-up-Stände. Der Glühwein wird mit Bio-Ingwer verfeinert, es gibt vegane Leckereien und Designprodukte von jungen österreichischen Labels. In beheizten Containern oder bei Feuerstellen kommen Studierende, Künstler*innen und Kreative zusammen, um sich in entspannter Atmosphäre auszutauschen.
Ein weiteres Highlight ist der Weihnachtsmarkt am Spittelberg, der durch seine romantisch engen Gassen im 7. Bezirk führt. Hier trifft man auf hochwertiges, handgemachtes Kunsthandwerk, fair produzierte Mode, alternative Weihnachtsdeko und jede Menge kreative Geschenkideen. Die Stimmung ist weniger touristisch, dafür umso authentischer. Viele Wiener*innen kommen nach Feierabend hierher, um mit einem Bio-Punsch in der Hand durch die kleinen Gassen zu schlendern.
Nicht zuletzt ist der „Art Advent“ am Karlsplatz eine der nachhaltigsten Alternativen unter den Wiener Weihnachtsmärkten. Hier liegt der Fokus auf ökologischen und sozialen Werten: Alle angebotenen Speisen sind bio-zertifiziert, der Markt wird ressourcenschonend betrieben, und auch das Kinderprogramm ist pädagogisch durchdacht. Kunsthandwerker*innen aus ganz Österreich stellen ihre Werke vor – von Keramik über Holzspielzeug bis hin zu handgefertigtem Schmuck.
Gerade diese Orte sind es, an denen sich die junge Szene Wiens trifft. Hier wird nicht nur gefeiert, sondern auch diskutiert, genetzwerkt und inspiriert. Die alternative Adventskultur ist damit ein echtes Spiegelbild des jungen, kreativen und bewussten Wiens – warm, weltoffen und voller Ideen.
Das junge Wien erleben heißt, hinter die Fassaden zu blicken
Wien im November ist mehr als grauer Himmel und klassische Konzerte. Wer sich auf die Szeneviertel einlässt, Streetart wahrnimmt, sich in Concept Stores verliert und sich von kleinen Konzerten, Off-Galerien oder DIY-Projekten überraschen lässt, wird ein ganz anderes Wien entdecken: jung, vielseitig, kantig – und voller Kreativität.
Ob du mit Kamera unterwegs bist, neue Modeimpulse suchst oder einfach nur echten, urbanen Flair genießen willst – Wien wird dich inspirieren. Gerade dann, wenn der erste Schnee fällt und die bunten Mauern der Stadt noch stärker leuchten.